Mein Körper schreit nach Ruhe, mir ist heiß und ich fühle mich kraftlos. Langsam bewege ich mich bergauf und nähere mich dem Highway. 16km bin ich schon unterwegs, viel länger als geplant und die Uhr zeigt schon 1:45 Std. – wandern statt laufen bei über 35 Grad im Schatten und nur in der prallen Sonne.
Oft habe ich diese Streckenabschnitt visualisiert und bin virtuell mit Race-Pace auf den Queen-K Highway eingebogen um das Rennen aller Rennen auf den heißen Asphalt zu zaubern. Doch auch heute ist wieder alles anders – es geht nicht mehr darum einen Sportwettkampf zu bestreiten, es ist nur noch der pure Wille irgendwie durch die Hölle ins Ziel zu gelangen und zum 10. mal den Ironman Hawaii zu schaffen. Heute schafft er mich, doch ich habe mir in den Kopf gesetzt auf dem Alii Drive ein weiteres, vielleicht letztes Mal die Worte „and YOU are an IRONMAN“ als Belohnung für all die Strapazen zu hören um dann dem Schrei nach Ruhe nachzugeben.
Dafür bin ich um die halbe Welt geflogen um es mit den legendären Strecken des Ironman Hawaii auf Big Island aufzunehmen. Wie jedes Jahr kommen aus der ganzen Welt die besten Athleten hierher um sich zu messen und Ihre Weltmeister/in zu finden.
Das was mir möglich war, habe ich für diesen Tag getan. Der Trainingsumfang war bescheiden im Vergleich zu den Profis und manch anderem Amateur aber immer noch so immens, das es den meisten Menschen nur schwer vermittelbar ist. Das Material sorgsam zusammengestellt und vorbereitet. Der Kopf war bereit für den Tag der Tage. So begann auch mein Tag perfekt nach Plan.
Der Schwimmstart am Pier von Kailua Kona war fast stressfrei – die Organisatoren hatten die Startlinie deutlich verbreitert. Schnell konnte ich mich nach vorne sprinten und an die Spitze einer von 3 Schwimmzügen setzen. Nach 400m dann doch Gedränge als wir mit dem rechten Zug zusammenstossen. Bis zur Wende nach der Hälfte der Strecke am Bodyglove Boat ist es hektisch und ich muss auf Wasserschatten verzichten um Rangeleien aus dem Weg zu gehen. Die Platzierung erscheint mir schlechter als im Vorjahr. auf dem Rückweg wird es ruhiger und ich halte mich am Ende meiner Gruppe auf um mich etwas für den weiteren Tag zu schonen.
Endlich kommt der Pier und die Wechselzone (T1) in Sicht und ich bereite mich gedanklich darauf vor über die breite Holztreppe aus dem Wasser zu steigen und gehe gedanklich schon das Umziehen zum Radfahren vor damit jeder Handgriff sitzt. 53:40 – der Blick auf die Uhr bringt die positive Überraschung, ich bin genauso schnell wie im Vorjahr – das 2017er Rennen ist ein schnelles.
Das Gefühl in meinen Beinen ist gut, locker gelange ich zu meinem Rad uns freue mich auf meine stärkste Disziplin, in der ich mich nach vorne orientieren will. Schnell mache ich Position um Position gut und fahre mich locker ein. Dann geht es zum ersten Mal auf den Queen-K Highway in Richtung Hawi. Mein S-Works Shiv läuft fantastisch und auf jeder Gefällestrecke gelingt es mir weitere Mitstreiter abzuschütteln und Gruppe um Gruppe nach vorne zu springen.
Bei km 50 wundere ich mich aber, das der letzte Punch an den Hügeln fehlt. Die 2. Gruppe agiert hektisch und nervös und einige wollen die Lücke von ca. 1,5min auf die 1. Gruppe schließen. 2 Fahrer schaffen es schließlich aber lassen viel Kraft. Ich bin fast allein und beschließe auch den Kraftakt zu versuchen. Ich schalte 2 Gänge hoch und schaffe es in nur 5km ebenfalls aufzuschließen. Auf dem Weg bis zum Wendepunkt, der Hippie Siedlung in Hawi kann ich mich etwas erholen und fühle mich zunächst gut und bin nun im Rennen der besten Amateure angekommen.
Letzte Zweifel bleiben, meine Ernährung läuft nicht optimal und ich fühle mich weiter nicht 100% fit. Auf dem Rückweg muss ich bei 120km dann die Gruppe wieder ziehen lassen und kann mein Tempo nicht mehr aufrecht halten. Mir ist bewusst das mir nun ein sehr harter Tag bevorsteht. Ich habe die Hoffnung, das wenn ich von nun an gut dosiert agiere ich vielleicht beim Laufen wieder zurück ins Rennen komme. Doch mit jedem Kilometer zieht mir die Sonne und die Strecke weiteren Saft aus den Beinen.
Ziemlich entkräftet steige ich nach 180km in Kona in der T2 vom Rad und laufe steif durch die Wechselzone. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Noch 42km Laufen sind kein Spaß, wenn man angeschlagen ist, erst Recht nicht bei 35-40 Grad in der Lava von Hawaii. Ich will es dennoch versuchen, egal wie ins Ziel kommen.
Am Ende ist es notwendig mehr als 10 der 42km zu wandern – eigentlich ist das kein Sport mehr, kein Ironman, nur eiserner Wille und der Wunsch die Finisher-Medaille mit nach Hause nehmen zu können. Am Ende gelingt mir das und ein Lächeln huscht über mein Gesicht als Mike Reilly mir das ersehnte „You are an Ironman“ entgegenruft. Ich genieße den Augenblick das Ziel zu durchschreiten und einen Blick auf die Bucht zu werfen in der wir am frühen morgen gestartet sind. I´m an Ironman. 30 Jahre Triathlon vor meinen Augen – vor 20 Jahren war ich als Rookie hier auf Hawaii und heute das 10. Mal in Kona war wahrscheinlich der schwerste Auftritt für mich. Es tut zwar in der Seele weh, die sportlichen Ziele weit verfehlt zu haben, dennoch freue ich mich ein Teil des Ganzen, dieses ungewöhnlichen Events zu sein, der auch heute wieder mit dieser Insel zu verschmelzen scheint. Es ist ein besonderes Gefühl hier zu sein – immer noch, auch nach 20 Jahren.
Ich weiß gerade nicht, ob ich irgendwann noch mal wieder kommen werde. Ich sehne mich auch nach daheim. Mein Werk habe ich für heute fertig, auch wenn ich meine sportliche Vision nicht vollenden konnte. 10:52 Std. mit einem Marathon von über 4:40 Std. stehen in der Ergebnisliste. Aber es bleibt auch eine 53er Schwimmzeit und ein Bild im Kopf auf dem Rad eine Weile mitgehalten zu haben…
Ich habe viel gelernt über mich und wie es am Rande der Belastbarkeit dennoch weitergehen kann. Demnächst mehr dazu.
2017 ist sportlich fertig – wie es weiter geht weiß ich heute noch nicht…bis bald
Euer Dirk